„Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.“ ― Hans-Jochen Vogel
Überlasteten Straßen mit Hinzufügen immer weiterer Straßen zu begegnen – ein Ansatz, um die Ambitionen der 50er mit Epochen-gerechtem Instrumentarium zu verfolgen. Ein Verkehrsproblem wird mit zusätzlichem Verkehr „gelöst“. Eine Förderung des Individual-Kfz-Verkehrs. Eine Maßnahme um den Einstieg ins Auto zu attraktivieren. Ein richtiger Schritt in eine falsche Richtung. Der Betonweg den wir seit Jahrzehnten gehen – ist ein Holzweg.
Menschen neigen grundsätzlich dazu, ein Problem zu lösen, indem weitere Elemente zum System hinzugefügt werden, anstatt es durch elegante Vereinfachungen zu lösen. Dieser Charakterzug des additiv-expansiven Wirtschaften ist tief in uns verwurzelt, und wohl nicht unschuldig an den anthropogenen Umweltproblemen.
Die entwicklungsgeschichtlich veranlagte Schneller-Besser-Weiter-Mentalität ist eine fatale Universalie in der Auslegung der westlichen Gesellschaft, welche allgemein einen Lebensstil der endlosen Schöpfung aus endlichen Ressourcen praktiziert. Wenn nicht einmal vor Naturschutzgebieten Halt gemacht wird, ist der Stellenwert der Natur in der Politik ersichtlich. Umweltschutz bleibt der Eidechsenschwanz der Politik: die prachtvoll zierende Tugend, die man trägt, solange sie nicht stört – die abgeworfen wird, sobald es um Wirtschaftsinteressen und Prestigeprojekte geht – um nicht von der Nachhaltigkeit erfasst zu werden.
Die geplante Ostumfahrung würde allenfalls einen Teil des in den nächsten Jahren zunehmenden Verkehrsaufkommens umleiten, welches insgesamt jedenfalls steigen würde, auch innerhalb der Stadt, vor allem ohne gravierende Verkehrsberuhigungsmaßnahmen. Große Bodenflächen würden versiegelt werden. Die Radwege zwischen Wiener Neustadt und Lichtenwörth würden durchschnitten und der Alltagsradverkehr auf diesen Strecken wäre mit Kilometer langen Umwegen konfrontiert. Mit den derzeitigen Strategien der Verkehrsbewältigung muss die Belastung durch Kraftfahrzeuge zwangsläufig zunehmen, wenn nicht versucht wird die Zahl der verwendeten Fahrzeuge zu minimieren, sondern sie lediglich „umzulenken“.
In der jüngsten Präsentation der „Radverkehrsoffensive 2021“ wird KEIN Ausblick auf den bereits letzten Jänner angekündigten „Boulevard Grazer Straße“ gegeben, was eine für den Radverkehr begrüßenswerte, aber derzeit utopisch anmutende, Maßnahme gewesen wäre, sollte die Ostumfahrung gebaut werden. Für diesen Fall bleibt zu hoffen, dass dieser Boulevard kein leeres Versprechen ist, eine Werbung, lediglich um die Menschen von der Ostumfahrung zu überzeugen.
Die Lösungen für das tatsächliche Verkehrsproblem sind nicht in einer Attraktivierung des Individualverkehrs, sondern des öffentlichen Verkehrs zu sehen. Auf Schiene statt Gummiabrieb setzen. Fahrrad statt Kurzstrecken-Kfz. Radwege statt Auto-Eldorado. Öffis statt Individualverkehr. Hier wären Investitionen in langfristige Entwicklungsmöglichkeiten wünschenswert, anstatt verbissen den ausgetretenen Betonweg der letzten 70 Jahre weiterzugehen und den Feldzug gegen die Umwelt fortzuführen. Hören wir auf uns zu wundern, warum Verkehr wächst, wenn wir wissen, was gesät wurde.
Umweltschutz muss aus dem Status quo der simulierten Tugend in primäre Ambitionen erhoben werden.
Daher bin ich gegen das Projekt „Ostumfahrung“ und für einen Weg der sinnvollen Alternativen und aussichtsreicheren Strategien für ein lebenswertes Wiener Neustadt.