Vor kurzem habe ich erlebt, wie es sich anfühlt, wenn einen sprichwörtlich „die Vergangenheit einholt“. Ich wurde an meinen Leserbrief in den Wiener Neustädter Nachrichten von 2004 erinnert.
Meine Einschätzung zur Notwendigkeit der Ostumfahrung hat sich in den 16 vergangenen Jahren nicht geändert. Die abschließende Erkenntnis im Brief: „Mehr Straßen ist gleich mehr Verkehr“ wurde inzwischen durch eine konkrete Studie belegt – das gesamte Verkehrsaufkommen im Stadtgebiet wird durch die Fertigstellung der Ostumfahrung stark steigen, für die Problemzonen Grazer Straße und Nestroystraße ist keine Entlastung zu erwarten, auch hier wird der Verkehr zunehmen.
Wozu dann die Ostumfahrung weiterbauen?
Der aktuelle Zusammenhang. Mobilität ist das Kernstück unserer Gesellschaft und der Endpunkt einer jahrzehntelangen Entwicklung (als ich 1965 zur Welt kam, gab es in meiner unmittelbaren Familie für sieben Personen ein Auto, jetzt sind es sechs Autos – eines davon benutze ich). Der Weg zur Arbeit, Einkäufe, Freizeitaktivitäten, Urlaub, Warentransport, Dienstleistungen – wir haben uns daran gewöhnt, dass Kraftfahrzeuge ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens sind.
Die durch das Corona-Virus hervorgerufene Krise zeigt, wie komplex und wie labil das System ist, in dem wir heute leben. Ein Krankheitserreger, der im Dezember erstmals in China festgestellt wurde, hat noch im selben Monat Europa erreicht und hier unsere Bewegungsfreiheit und somit einen großen Teil des Alltags lahmgelegt. Mit sehr weitreichenden Folgen sowohl für den Einzelnen als auch für das gesamte System. Wir müssen nun endlich beginnen, Veränderungen in Gang zu bringen, um wieder mehr Stabilität zu erreichen.
Ein Umdenken im Bereich Mobilität spielt dabei für mich eine sehr große Rolle. Entfernungen müssen wieder als solche wahrgenommen werden. Was bedeutet es, wenn ich morgens und abends je 1,5 Stunden unterwegs bin, um meiner Erwerbstätigkeit nachkommen zu können?
Was bedeutet es, wenn ich Waren aus Fernost über ́s World Wide Web kaufe und dabei 5 Euro Versandkosten anfallen? Was bedeutet es, wenn in Skandinavien gefangene Eismeergarnelen mit LKW und Fähre nach Marokko zum Schälen und dann zur Weiterverarbeitung nach Polen gebracht werden? Was bedeuten Entfernungen für den rumänischen LKW-Fahrer, der 2 Monate am Stück in seinem LKW arbeiten und leben muss, bis er dann für ein paar Tage wieder nach Hause kommt, und das noch dazu für einen Hungerlohn?
Es gilt, Lösungen für viele ineinander verwobene Probleme zu finden. Die Ansätze wie Verkehrsberuhigung oder -beschränkungen, mehr Platz für Fußgänger, Ausbau von Radwegen und Bevorzugung und Förderung des öffentlichen Verkehrs sind bekannt und teilweise auch schon im Stadium der Verwirklichung.
Aber jetzt, an einem so sensiblen Punkt der gesellschaftlichen Entwicklung, an den Bau neuer hochrangiger Straßen auch nur zu denken, erscheint mir als der komplett falsche Weg.
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